Effektive Zivilrechtsdurchsetzung: Zugang zur Justiz, Prozessfinanzierung, Legal Tech – welcher rechtliche Rahmen empfiehlt sich?
Die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche unterbleibt nicht selten deshalb, weil die Berechtigten Kosten und Mühen eines Prozesses scheuen. Rechtswidrige Geschäftspraktiken können sich so für die handelnden Unternehmen womöglich als lohnend erweisen.
In der jüngeren Praxis wurden allerdings neue, oft Legal-Techunterstützte Modelle der Rechtsdurchsetzung entwickelt, und zwar vor allem mit Blick auf Ersatzansprüche wegen massenhaft auftretender Schäden. Dabei werden gleichartige Ansprüche aggregiert, wodurch der auf den einzelnen Anspruch entfallende (anteilige) Aufwand für die Geltendmachung deutlich reduziert wird. Typisch ist überdies, dass die Geschädigten kein Prozessrisiko tragen: Private Dienstleister, die oft gezielt als Klagevehikel zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung gegründet werden, lassen sich gleichartige Ansprüche abtreten bzw. zu deren Durchsetzung ermächtigen, üblicherweise gegen eine Erfolgsbeteiligung. Sie kooperieren häufig mit privaten Prozessfinanzierern oder fungieren selbst als solche. Und auch Rechtsanwälte „sammeln“ über online-Masken parallele Ansprüche ein und machen diese mit standardisierten Klageschriftsätzen gebündelt oder sukzessive geltend, wobei sich bei solchen massenhaften Parallel- und „unechten Sammelklagen“ vor allem Rechtsschutzversicherte repräsentiert finden.
Das Auseinanderfallen von Prozessrisiko und -erfolg ist zwar angesichts einer traditionell hohen Dichte an Rechtsschutzversicherungen gewiss keine Neuheit in Deutschland. Die Verbindung der Aggregation Tausender oder gar Zigtausender Ansprüche mit der Prozessrisikoübernahme durch Dritte stellt aber jedenfalls in diesem Ausmaß die Ziviljustiz vor neue und beträchtliche Herausforderungen, auch wenn die Eingangszahlen allgemein zurückgehen. Dementsprechend gibt es eine Fülle an Vorschlägen, wie die Ziviljustiz fit gemacht werden kann für Massenverfahren. Es werden aber auch die grundsätzliche Berechtigung solcher nicht primär durch Geschädigte selbst angestoßener „Klagewellen“ in Frage gestellt und die Notwendigkeit gesetzlicher Regulierung diskutiert. Dies gilt für zivilprozessrechtliche und rechtsdienstleistungsrechtliche Aspekte der neuen Modelle, aber auch für die Zulässigkeit privater Prozessfinanzierung, die in Deutschland bislang erst in Entwicklung begriffen ist.
Die Abteilung zielt auf Empfehlungen, die einen sowohl für Geschädigte und Schädiger, als auch für die Zivilgerichte angemessenen rechtlichen Rahmen schaffen.
Prof. Dr. Tanja Domej, Zürich (Gutachterin)
Tanja Domej studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien (1995–1999), wo sie 2005 auch zum Dr. iur. promoviert wurde. 2011 wurde sie aufgrund einer Arbeit zum internationalen Zwangsvollstreckungsrecht habilitiert. Seit 2003 war sie an der Universität Zürich zunächst als Assistentin am Lehrstuhl von Paul Oberhammer, später als Oberassistentin tätig. 2011 folgte nach Stationen an den Universitäten Halle-Wittenberg und Uppsala die Berufung auf ihren Zürcher Lehrstuhl für Zivilverfahrensrecht, Privatrecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung.
Rechtsanwalt Dr. Daniel Halmer, Berlin (Referent)
Dr. Daniel Halmer, Dipl.-Kfm., Jahrgang 1976, ist seit 2017 Gründer und Geschäftsführer des Legal Tech-Unternehmens Conny, das sich mit der softwaregestützten Durchsetzung von Verbraucherrechten befasst. Nach einer ersten Station als Notarassessor in Bayern beriet er als Rechtsanwalt bei Hengeler Mueller in München und Düsseldorf sowie bei Wachtell Lipton Rosen & Katz in New York börsennotierte und Private Equity Unternehmen in M&A-Transaktionen sowie in den Bereichen Compliance und Organhaftung, bevor er das Berliner Fintech-Unternehmen Raisin als General Counsel und Head of Business Development mit aufbaute. Er hat an der Universität Passau, der London School of Economics, der LMU München und der Harvard Law School studiert und Abschlüsse in Rechts- und Wirtschaftswissenschaften inne. Er wurde an der LMU München zu einem rechtsökonomischen Thema des Gesellschaftsrechts promoviert.
Präsidentin des BGH Bettina Limperg, Karlsruhe (Referentin)
Bettina Limperg, geboren 1960 in Wuppertal, ist seit 2014 Präsidentin des Bundesgerichtshofs. Sie studierte Rechtswissenschaften in Freiburg und Tübingen (1979-1984) und war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Ernst-Wolfgang Böckenförde; Referendariat und 2. Staatsexamen in Freiburg. 1989 Eintritt in die Justiz Baden-Württemberg, Stationen bei der Staatsanwaltschaft, Gerichten aller Instanzen (Straf- und Zivilrecht), Abordnung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Bundesverfassungsgericht (Prof. Böckenförde) 1994/96. Anschließend Präsidialrichterin am Land- und Oberlandesgerichts Stuttgart, Direktorin des AG, Vizepräsidentin des Landgerichts. 2011 – 2014 Amtschefin im Justizministerium Baden-Württemberg. Ehrenamtliche Arbeit als Vorsitzende von Kuratorium, Beirat, Vorstand und Mitglied in verschiedenen gemeinnützigen Organisationen, u.a. der Stiftung Forum Recht, Max-Planck-Gesellschaft und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag.
Rechtsanwältin Dr. Martina de Lind van Wijngaarden, Frankfurt a.M. (Referentin)
Dr. Martina de Lind van Wijngaarden ist Partnerin bei Freshfields Bruckhaus Deringer im Be-reich Prozessführung. Sie absolvierte ihre juristische Ausbildung an den Universitäten Passau, Cardiff und Münster und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidel-berg, wo sie auch zum Dr. iur. promoviert wurde. Sie erwarb einen Master-Abschluss (LL.M) an der Columbia Law School, New York. Seit 2001 ist sie bei Freshfields Bruckhaus Deringer tätig, zunächst in New York und seit 2004 in Frankfurt. Sie ist als Rechtsanwältin in Frankfurt und New York zugelassen.
Vors. Richter am LG Dr. Thomas Mehring, Stuttgart (Referent)
Dr. Thomas Mehring, Jahrgang 1973, studierte Rechtswissenschaft in Tübingen. Nach einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Prof. Dr. Wolfgang Ernst, Promotion über ein deliktsrechtliches Thema sowie Referendariat trat er im Jahr 2002 in den höheren Justizdienst des Landes Baden-Württemberg ein. Nach Stationen als Staatsanwalt, Strafrichter am Amtsgericht und Zivilrichter am Landgericht wurde er an das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg abgeordnet, wo er als Projektbeauftragter den Neubau und die Inbetriebnahme des neuen Messegeländes der Landesmesse Stuttgart betreute. Nachfolgend war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs tätig. Nach erneuten Verwendungen als Zivilrichter am Landgericht sowie der Erprobungsabordnung an das Oberlandesgericht erfolgte im Dezember 2015 die Ernennung zum Richter am Oberlandesgericht Stuttgart, wo er dem 3. Zivilsenat zugewiesen wurde. Im April 2019 übernahm er den Vorsitz der 27. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart, welcher neben allgemeinen Zivilsachen im Turnus Verfahren betreffend die Haftung von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, Honorarforderungen dieser Berufsgruppen sowie insolvenzrechtliche Streitigkeiten zugewiesen sind.
Prof. Dr. Beate Gsell, Richterin am OLG, München (Vorsitzende)
Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Europäisches Privat- und Verfahrensrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Geschäftsführende Direktorin des Munich Center for Dispute Resolution, Mitglied des 14. Zivilsenats des OLG München (1/6-Stelle), 1997 Promotion (Tübingen), 2001 Habilitation (Bonn), 2002-2003 Professur für Bürgerliches Recht und Nebengebiete an der LMU München, 2003-2011 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Europäisches Privatrecht und Internationales Privatrecht an der Universität Augsburg, Mitglied des Fachbeirats des Max Planck Institute Luxembourg for International, European and Regulatory Procedural Law, Gesamtmitherausgeberin des BeckOGK (beck-online.GROSSKOMMENTAR) zum Zivilrecht, Mitherausgeberin der ZfPW (Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft) und der ZJS (Zeitschrift für das Juristische Studium).
Vors. Richterin am OLG Eva Voßkuhle, Freiburg i.Br. (Stv. Vorsitzende)
Eva Voßkuhle ist seit April 2011 Vorsitzende des 18. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts Karlsruhe. Studium in Freiburg, Genf und München, juristische Staatsexamina in München. 1992 Eintritt in die Bayerische Justiz, dort in verschiedenen Funktionen insbesondere im Justizministerium tätig, 1995/96 Teilnahme am einjährigen Lehrgang für Verwaltungsführung der Bayerischen Staatskanzlei, 1999 Wechsel in die baden-württembergische Justiz (Referatsleiterin im Justizministerium, verschiedene richterliche Funktionen, zuletzt 2006 bis 2008 Direktorin des Amtsgerichts Lörrach und ab 2008 Vizepräsidentin des Landgerichts Freiburg). Als Richterin war Eva Voßkuhle schwerpunktmäßig im Familienrecht und im Strafrecht tätig, so als mehrjährige Vorsitzende des Schöffengerichts, des Schwurgerichts sowie der Jugend(schutz)kammer.
Prof. Dr. Gerhard Wagner, LL.M., Berlin (Stv. Vorsitzender)
Ist Professor für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Ökonomik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er wurde 1989 von der Universität Göttingen promoviert und dort 1997 habilitiert. Im Jahre 1995 erwarb er den Grad eines LL.M. von der University of Chicago Law School. Von 1999-2013 war Wagner Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Zivilprozessrecht sowie Konfliktmanagement an der Universität Bonn, 2003 Visiting Fellow am University College, London, und 2010/2011 Visiting Professor of Law, University of Chicago Law School. Er ist Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Zivilrechtslehrervereinigung und des Vorstands der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, Mitglied des European Law Institute und korrespondierendes Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Er ist Mitherausgeber des Archiv für die civilistische Praxis und der Zeitschrift für Europäisches Privatrecht.
Gutachterin
Prof. Dr. Tanja Domej, Zürich
Referentinnen und Referenten
Rechtsanwalt Dr. Daniel Halmer, Berlin
Präsidentin des BGH Bettina Limperg, Karlsruhe
Rechtsanwältin Dr. Martina de Lind van Wijngaarden, Frankfurt a.M.
Vors. Richter am LG Dr. Thomas Mehring, Stuttgart
Vorsitzende
Prof. Dr. Beate Gsell, Richterin am OLG, München
Stv. Vorsitzende
Vors. Richterin am OLG Eva Voßkuhle, Freiburg i.Br.
Prof. Dr. Gerhard Wagner, LL.M., Berlin
Schriftführerin
Akad. Rätin Dr. Ann-Kristin Mayrhofer, München
Referate
Mittwoch, 25. September
10:30 bis 11:45 Uhr
Diskussion
Mittwoch, 25. September
14:15 bis 15:30 Uhr
Donnerstag, 26. September
9:30 bis 13:00 Uhr
Diskussion und Beschlussfassung
Donnerstag, 26. September
14:00 bis 18:00 Uhr