Beschlagnahme und Auswertung von Handys, Laptops & Co. – Sind beim offenen Zugriff auf Datenträger die Persönlichkeitsrechte angemessen geschützt?
Die Sicherstellungs- und Beschlagnahmebefugnisse der Strafprozessordnung beziehen sich auf sämtliche Gegenstände, auch auf Datenträger jeder Art unabhängig vom Umfang und vom Gehalt der dort gespeicherten Informationen: Smartphones, Laptops, PCs, Tablets (sog. komplexe informationstechnische Systeme). Die Strafverfolgungsbehörden erhalten dadurch Zugriff auf enorme Datenmengen – einschließlich auf Kommunikationsdaten aller Art, Wegaufzeichnungen, Fotos, Betätigung in den Sozialen Medien, Notizen, Kalender etc. – , mitunter auch auf lang zurückliegende Kommunikation und auf solche Daten, die der betroffene Nutzer für sich schon gelöscht hat, die aber relativ einfach rekonstruiert werden können. Die Regeln der Sicherstellung (§§ 94 ff, §§ 111b ff. StPO), selbst der auf Daten zugeschnittene § 110 Abs. 3 StPO, wurden allerdings zu einer Zeit konzipiert, in der die Masse, die Reichweite und die Qualität der heute über Smartphones udgl. verfügbaren Informationen noch nicht vorhersehbar waren.
Es bestehen daher erhebliche Zweifel daran, dass sie im Hinblick auf komplexe Datenträger hinreichend auf das Eingriffsgewicht abgestimmt sind, das – jedenfalls bei großen Datenmengen – mit ihnen verbunden ist. Sie unterscheiden sich damit von heimlichen Überwachungsmethoden, bei denen die Sensibilität der Maßnahme berücksichtigt wurde, indem höhere Eingriffsschwellen vorgesehen sind, ein höherer Verdachtsgrad erforderlich ist und die Betroffenen nachträglich Einblick in die aus der Überwachung gewonnenen Daten erhalten.
Für eine Sicherstellung genügt hingegen der mutmaßliche Beweiswert des Gegenstandes. Dieser wird als solcher dem Betroffenen zwar offen abgenommen. Bei Lichte betrachtet ist jedoch ein (versteckter) Geheimnischarakter damit verbunden: Kaum jemand hat mehr Überblick über Art und Umfang der etwa über sein Smartphone zugänglichen Daten. Ungeachtet dessen gibt es keine Regeln, den Betroffenen in das gesamte Material (und nicht nur in die Teile, die dann zu den Akten genommen werden) Einsicht nehmen zu lassen; es gibt keine besonderen Regeln über den erforderlichen Verdachtsgrad, bei dem ein derartig weitgehender Einblick in hochpersönliche Informationen angemessen ist; es ist keine Mindestschwere der Anlasstat vorgesehen, keine Regelung zum Umgang mit Zufallsfunden, kurzum: Die Sicherstellung- und Beschlagnahmebefugnisse der StPO scheinen im Hinblick auf moderne Kommunikationstechnologien weder zeitgemäß noch sachgerecht zu sein – neue Konzepte werden beim 74. djt 2024 entwickelt.
Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi, Trier (Gutachter)
Mohamad El-Ghazi studierte von 2003 bis 2008 Rechtswissenschaften an den Universitäten Gießen und Bremen und absolvierte im Anschluss sein Referendariat am Kammergericht in Berlin, u. a. mit Station am Bundesministerium der Justiz. Er promovierte 2013 zum Dr. iur. an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel bei Prof. Dr. Andreas Hoyer zu einem revisionsrechtlichen Thema. El-Ghazi wurde 2019 an der Universität Bremen mit der Arbeit „Die Revision der Konkurrenzlehre“ habilitiert. Seit 2019 ist er Professor an der Universität Trier und bekleidet dort den Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Seit 2021 ist er außerdem Direktor des Trierer Instituts für Geldwäsche- und Korruptions-Strafrecht.
Bundesanwalt Dr. Jörn Hauschild, Karlsruhe (Referent)
Geboren 1969 in Buxtehude; Banklehre in Hamburg; Studium der Rechtswissenschaften in Kiel und Freiburg im Breisgau; Referendariat im Landgerichtsbezirk Kiel. Ab 1999 Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Bremen; Promotion an der Universität Kiel (2000); von 2003 bis 2006 Abordnung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Behörde des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof; von 2007 bis 2010 bei der Staatsanwaltschaft Bremen Abteilungsleiter für die Bereiche Organisierte Kriminalität und Korruptionsdelikte sowie Pressesprecher; seit 2011 beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, dort seit 2020 Referatsleiter in der Abteilung Terrorismus.
Vors. Richter am LG Gregor Herb, Berlin (Referent)
1991 bis 1998 Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg i.Br. und Berlin; 1999 bis 2001 Referendar im Bezirk des Kammergerichts; 2001 bis 2002 Rechtsanwalt in der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek/Görg; 2002 Eintritt in den Justizdienst des Landes Berlin mit Stationen bei Staatsanwaltschaft, Amtsgericht Tiergarten und Landgericht Berlin; 2010 bis 2013 Abordnung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Bundesgerichtshof in Karlsruhe; seit 2013 Vorsitzender verschiedener großer Strafkammern, seit 2018 eines Schwurgerichts.
Rechtsanwältin Gül Pinar, Hamburg (Referentin)
Gül Pinar, Strafverteidigerin aus Hamburg, ist seit 1998 als Rechtsanwältin tätig, seit 2020 ist sie Fachanwältin für Strafrecht. Gül Pinar hat in zahlreichen Großverfahren vor den Oberlandesgerichten und Landgerichten verteidigt, zuletzt vielfach gegen die Strafverfolgung aufgrund digitaler Beweismittel aus polizeilichen Hacks gegen Kryptohandys (EncroChat, SkyECC, Anom). Seit 2006 ist sie Mitglied des Gesetzgebungsausschuss Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins, außerdem Vorstandsmitglied des Hamburgischen Anwaltsvereins und der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer.
Prof. Dr. Ingeborg Zerbes, Wien (Vorsitzende)
ist Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien. Von 2011 bis 2019 war sie Professorin für Kriminalwissenschaften (deutsches, europäisches und internationales Strafrecht), Kriminologie und Kriminalpolitik an der Universität Bremen und Leiterin des Bremer Instituts für Kriminalwissenschaften. Ingeborg Zerbes wurde an der Uni Wien promoviert und habilitiert („Spitzeln, Spähen, Spionieren Sprengung strafprozessualer Grenzen durch geheimen Zugriff auf Kommunikation“) und hat dort ihre wissenschaftliche Grundausbildung absolviert. 1997-2005 war sie außerdem Österreich-Referentin am MPI für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, 2000 bis 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Basel und 2005-2008 Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. In diese Zeit fallen Forschungsaufenthalte am MPI in Freiburg, an der Universität Basel und an der Hofstra University New York. Seit November 2011 war Ingeborg Zerbes Strafrechtsprofessorin an der Universität Bremen, seit Juni 2017 Studiendekanin. Sie ist Mitherausgeberin des European Criminal Law Review und der Kritischen Justiz und ist Mitglied der European Criminal Policy Initiative. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Europäischen- und Internationalen Strafrecht, im Wirtschaftsstrafrecht und im Strafprozessrecht.
Rechtsanwältin Anke Müller-Jacobsen, Berlin (Stv. Vorsitzende)
Anke Müller-Jacobsen, Rechtsanwältin in Berlin. Nach dem Studium an der FU Berlin hat sie 1988/1991 die juristischen Staatsexamina abgelegt. Von Anfang an hat sie sich auf die Strafverteidigung konzentriert, inzwischen mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht. Mit sieben anderen Rechtsanwälten führt sie eine strafrechtlich ausgerichtete Anwaltssozietät am Berliner Gendarmenmarkt. Von 1999 – 2012 war sie Vorstandsmitglied und ab 2007 Vizepräsidentin der RAK Berlin. Von 2012 – 2019 war sie Richterin des Verfassungsgerichtshofes Berlin. Weiterhin ist sie u.a. Mitglied im Strafrechtsausschuss der BRAK sowie der ständigen Deputation des Deutschen Juristentages. Sie veröffentlicht gelegentlich in Fachzeitschriften und in Festschriften über strafrechtliche, strafprozessuale und berufsrechtliche Themen. Sie ist verheiratet – zusammen haben sie drei erwachsene Kinder. Sie joggt, fährt gern Fahrrad und im Winter Ski. Mit Engagement singt sie in einem ambitionierten Kirchenchor.
Gutachter
Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi, Trier
Referentin und Referenten
Bundesanwalt Dr. Jörn Hauschild, Karlsruhe
Vors. Richter am LG Gregor Herb, Berlin
Rechtsanwältin Gül Pinar, Hamburg
Vorsitzende
Prof. Dr. Ingeborg Zerbes, Wien
Stv. Vorsitzende
Rechtsanwältin Anke Müller-Jacobsen, Berlin
Schriftführer
Vors. Richter am TDG Timo Walter, München
Referate
Mittwoch, 25. September
10:30 bis 11:45 Uhr
Diskussion
Mittwoch, 25. September
14:15 bis 15:30 Uhr
Donnerstag, 26. September
9:30 bis 13:00 Uhr
Diskussion und Beschlussfassung
Donnerstag, 26. September
14:00 bis 18:00 Uhr